Nikolausgeschichten

..Nikolaus oder Weihnachtsmann? Was ist der Unterschied, wenn es denn überhaupt einen gibt. Und es gibt…

Der Weihnachtsmann tritt überall da in Erscheinung wo hauptsächlich evangelische Christen beheimatet sind. Er hat seinen Auftritt auch erst an Heilig Abend und nicht wie der Nikolaus an seinem Namenstag dem 06. Dezember. Da der Südwesten Deutschlands traditionell katholisch geprägt ist gehört der Nikolaus auch in dieser Region zur kulturellen Tradition.

Und so will ich dir einige Erinnerungen an diesen Tag erzählen.

 

 

Ich wuchs in einem dreistöckigen Mietshaus auf. Also um genau zu sein waren da EG, 1.OG und DG mit einer kleinen Wohnung und einem einzelnen Zimmer, Mansarde genannt. Zu Spitzenzeiten waren wir sieben Kinder über das Haus verteilt. Mein Bruder und ich wohnten im OG und über uns in der Dachwohnung residierte Tom. Er war im Alter genau zwischen meinem Bruder und mir. Seine beiden Schwestern waren locker 12-15 Jahre älter, und arbeiteten in Fabriken. In der Mansarde war Manfred untergebracht. Er war sicher gut zehn Jahre älter als wir und war bereits ungelernter Fabrikarbeiter. Siggi bewohnte mit seinen drei Geschwistern auf derselben Etage wie ich. Er war im gleichen Alter, jedoch ein Einzelgänger und Weichei.

Soweit zu unserer Situation.

Alljährlich erwarteten mein Bruder und ich mit Tom den für uns schwierigen Tag, den Nikolaustag. Es gab für Nikolaus jedes Mal eine lange Liste für untadliges Verhalten eines jeden von uns, abzuarbeiten. Und das dauerte….. Tom war mit Abstand der schlimmste Raudi im Viertel. Heute weiß ich, dass er sogar seine Schwestern beklaute. Er hatte zu jeder Zeit genügend Geld in der Tasche für Silversterböller und Zigaretten. Zugegeben, ich profitierte nicht wenig davon.

Ich erinnere mich noch ziemlich genau an einen Auftritt des Nikolaus‘. Wir drei Knaben saßen verängstigt mit Mutter und Oma in unserem Wohnzimmer und warteten…und warteten… Bis die Schelle des Nikolaus draußen im Flur ertönte und schwupp war Tom verschwunden. Er verkroch sich unter dem kleinen Wohnzimmertischchen und war nicht mehr bereit hervor zu kriechen. Er klammerte sich an dessen Tischbein fest und schrie jämmerlich. Auch der Nikinäki, wie wir ihn spöttisch nannten, war chancenlos. Tom blieb unterm Tisch bis die Luft rein war.

Als Jahre später dieser legendäre Abend wieder mal zu Gespräch kam erzählte uns Mutter dass der Nikolaus niemand anderer als „Emmi“ war, Tom‘ Mutter!!! Pit und ich hatten dies auch nicht bemerkt. Irgendwo in meinem Fotoarchiv müssten noch alte Schwarz-Weis Bilder, wichtige Dokumente, zu finden sein.

 

 

Ein wichtiger Geselle des Nikolaus war der „Knecht Ruprecht“. Er war derjenige der die Rute schwang und schon auch mal über den Arsch eines Bösewichts. Soweit war das bei uns nie nötig.

Aber es kam gelegentlich vor, dass ein paar grausige Gesellen verkleidet als Knecht Ruprecht und bewaffnet mit Eisenketten unser Treppenhaus unsicher machten. Sie schleppten sich schreiend und mit den Ketten auf die Treppenstufen der Holztreppe schlagend die beiden Treppen hoch bis unters Dach, um danach gleich wieder in gleicher Manier zurück zu kommen. Diese Prozedur wurde so oft wiederholt bis ihnen die Luft oder Lust ausging. Für uns Kinder war das der blanke Horror. Wir hatten keine Ahnung dass Manfred hinter der Aktion stand. Unser Eingang vom Treppenhaus in unsere Wohnung war lediglich ein Glasabschluss und eine Glastüre. Zwar war es Riffelglas aber die Konturen der Geister waren deutlich zu sehen und das Glas wäre nicht wirklich ein Hindernis für die Gauner gewesen. So blieb mir nix weiter als mich zu verstecken und abzuwarten bis der Spuk vorbei war.

 

 

Weitere bleibenden Eindrücke an diesen Tag aus der Kindheit blieben nicht.

 

Der Nikolausabend für meine beiden Mädels wurde immer eine besondere Veranstaltung an die sie sich bis heute gerne erinnern.

 

Eingeladen waren meist vier oder fünf befreundete Familien der Kinder ebenso im vergleichbaren Alter waren. In unserem Wohnzimmer saßen dicht gedrängt die Kinder mit ihren Eltern. Es wurden Geschichten erzählt oder vorgelesen, Gitarre gespielt und gesungen. Die Stimmung war jedes Mal recht feierlich.

 

Als dann endlich der Nikolaus die Stube betrat wurde es sehr ruhig und noch viel enger. Die älteren Kinder trugen ihre Gedichte und Lieder vor was den Nikolaus sehr beeindruckte. Entsprechend üppig war dann auch die Bescherung die er in seinem großen, braunen Sack mit sich führte. Der Abend dauerte für gewöhnlich ca. zwei Stunden und war für alle Beteiligten ein wunderschönes Erlebnis.

 

 

So kamen wir irgendwann einmal auf die Idee, die Kinder waren bereits über zehn Jahre alt, dass wir unsere alte Crew, die Freunde aus kinderlosen Tagen zusammentrommeln wollten und Nikolaus zu feiern. Alle Crew- Mitglieder waren ebenfalls Eltern geworden mit teilweise drei Kinder. Eine explosive Mischung entstand! Beinahe zwanzig Erwachsene und mindestens ebenso viele Kinder von 2 bis 12 Jahre. Da keiner von uns eine Hütte besaß mit einer solchen Kapazität mieteten wir das Pfadfinderheim St. Raphael in Todtmoos- Au. Auch der Nikolaus war ein „Miet- Nikolaus“ der Pfadis. Und so konnten alle Kinder mit ihren vertrauten Eltern dem Erscheinen der Erscheinung entgegensehen. Die Zeit bis dahin verkürzten wir mit Weihnachtsliedern und speziellen Nikolaus- Lieder begleitet von meiner Gitarre. Und wir warteten und sangen und warteten und sangen…. Als 20 Uhr noch kein Nikolaus zu erspähen war versuchten wir ihn über Telefon zu erreichen. Das war nicht so ganz einfach da das Heim selbst kein Telefon besaß, Handy war damals noch nicht, und so besuchten wir die Nachbarn um zu telefonieren. Mittlerweile traf jedoch der Nikolaus ein und entschuldigte sich tausendmal für die Verspätung. Die Kinder waren teilweise beinahe eingeschlafen und dann aber doch wieder hellwach. Die Zeremonie zog sich den vielen Kindern entsprechend lange hin, aber es hatte allen sehr gut getan in einem solchen Rahmen, mit alten Freunden zusammen zu feiern.

 

Wir legten die Kinder schlafen und es war auch recht schnell Ruhe im Matratzenlager…bis auf einen Jungen der hyperaktiv war und regelmäßig im halbstunden Rhythmus aus der oberen Etage des Doppelbetts auf den Holzboden donnerte. Wir waren alle durchaus geschockt, bis auf die Eltern, für die war das „normal“! Er hat den Abend überlebt und ist heute ein stattlicher junger Mann.

 

 

Ein Nikolaus- Auftritt anderer Art ist meine nächste Geschichte gewidmet.

 

Ebenfalls aus unserer Sturm- und Drangzeit entstammten ein Ehepaar mit zwei wilden Jungs zwei und vier Jahre. Sie baten mich den Nikolaus zu mimen. Klar, kein Problem das mach ich doch gern.

 

Ich zog mir unser uraltes rotes Kostüm über. Der Rauschebart war ebenfalls noch in Takt…aber er muffelte ekelhaft. Naja, da muss ich jetzt durch, hab nix anderes. Für die halbe Stunde…. Dann noch eine Bischofshaube, weiße Handschuhe, Gummistiefel und ein Stock. Das „Goldene Buch“, Jutesack und Geschenke nicht vergessen. Ich war soweit komplett ausgerüstet, nur was sag ich zu den Kleinen und ihre Namen muss ich mir merken. Gut vorbereitet hätte ich meinen Auftritt auch gut hinbekommen…..aber manchmal läuft alles ein bisschen anders und das von Anfang an.

 

Die Familie wohne im Obergeschoss eines alten Bauernhauses. Der Zugang zur Wohnung verlief über eine Holztreppe außerhalb des Hauses vom Hof her. Ich hatte noch ein bisschen meine Müh, dass ich durch den Bart von unten in mein Gesicht und die Haare mit den buschigen Augenbrauen von der Haube herunter…irgendwie hatte ich kein freies Sichtfeld und tastete mich zur Treppe. Als ich den Handlauf fest in der Rechten Hand hielt fiel mein Blick die Treppe hoch und traf ein vom Schreck erstarrtes Etwas, das ohne Hose, also Pimmel openair, wie angewurzelt dastand und endlos tief Luft zu holen schien. Kurz vor dem Platzen entlud er sich und schrie was die Kehle bereit war herzugeben. Ich, total überrascht und überwältigt von der Komik, Dramatik und Dynamik der Situation, mich überkam ein solch hartnäckiger Lachanfall…selbst als ich gefühlte Stunden später vor den Kindern im Wohnzimmer stand und meine Show durcharbeitete überkam immer wieder ein nicht unterdrückbares Schütteln. Ich bemühte mich mein Verhalten mit einer Erkältung zu erklären.

 

Danach verabschiedete ich mich von der Familie und meldete mein Kommen für das nächst Jahr wieder an. Jedoch ereilte mich keine Bestellung diesbezüglich. Egal, der Spaß war es wert!

 

Die Krönung sollte jedoch die nächst und vorerst letzte Geschichte werden.

 

Meine erstgeborene Tochter arbeitete zu der Zeit als Erzieherin in einem Schweizer Kindergarten, Nähe Zürich. „Chinzgi“ sagen die Schweizer dazu. Als Begleitperson, was bei uns der Knecht Ruprecht darstellt, heißt bei unseren Nachbarn „Schmutzle“.

Meine Tochter vermittelte meine ehrenamtlichen Dienste und ich nahm freudig an. Mal was anderes, dachte ich. Und tatsächlich es war anders.

Nach einer 45 Minütigen Anfahrt erreichte ich den Chinzgi und wurde gleich auf der Straße empfangen, noch gut 200 Meter von meinem Einsatzort entfernt. Hier, und da bin ich mir bis heute nicht sicher ob der Esel mir übergeben wurde oder ich dem Esel. Aber es war ein lebendiges Tier das vom Schmutzle betreut wurde. Schmutzle war zugleich der Besitzer des Langohrs. Das kam mir sehr gelegen. Der Plan war, dass wir drei die Straße hinunter bis zur Chinzgi schlendern um dann auf der Straße von den Kindern mit ihren Erziehern empfangen zu werden. Das klappte alles hervorragend, nur dass der Esel der Kinder Aufmerksamkeit mehr erregte als des Esels Begleiter. So versuchte ich trotzdem auf die Kinder zuzugehen, mit ihnen zu reden. Zwecklos, mehr als ein Windelscheißer aufs Mal war nicht zu bekommen. Das große Rudel versammelte sich um den „Süßen“ Esel. Die Erzieherinnen waren bemüht die Kinder auf mich aufmerksam zu machen, aber auch sie waren chancenlos. Und so verlief die Veranstaltung relativ gelöst, die Kinder standen Spalier, und winkten ihrem Liebling hinterher. Nur so viel…ich war nicht gemeint!!!! Aber eigentlich verlief die Veranstaltung wunschgemäß. Der Esel sollte die Attraktion sein…und die war er auch!

 

Also war die Welt in Ordnung. Und ich trat meine Heimreise an. Meine Tochter erzählte mir danach wie peinlich die Situation für die Erzieher war. Hab nie erfahren, ob der Esel das Jahr drauf wieder beim Nikolaus war, oder ob man auf den Nikolaus verzichtete.

 

Was jedoch in jeder Geschichte deutlich wird, ist, dass es ein wunderschöner und wichtiger Brauch ist und hoffentlich nie stirbt. Das wünsche ich jedem Kind.

 

 

Heute weiß ich, dass Nikolo und sein Knecht Rupp ihren Ursprung in den Sagen und Geschichten der Rauhnächte haben. In dieser Zeit der Rauhnächte, vom 06.Dezember bis 06.Januar, treibt die „Wilde Jagt, angeführt von Perchta“ ihr Unwesen. Sie bestrafen Böses und loben Gutes, bringen Strafe und Geschenke. Die wilde Jagt ist ein glühenderer Verfechter von Freiheit und Gerechtigkeit.