Der Held im Fluss...
...eine Geschichte die sich so tatsächlich abgespielt hat.
Wir waren alle so Mitte zwanzig, auf der Suche nach der weiten Welt. Damit wir auch überall da hinkamen wohin es uns zog, leistete sich einer meiner Freunde, nennen wir ihn "Rocki", ein Auto. Ein, damals schon betagter Ford Taunus Kombi, die Schaltung noch am Lenkrad. Aber egal, er war ein treuer, geräumiger Gefährte. Und wir waren alle glücklich, dass Rocki sich dieses "Auto" leistete. Das kam nicht von "ungefähr", war er doch der "sparsamste" von uns allen, also Rocki. Und eben dieser Geizkragen hatte einen Onkel, der war ein katholischer Pater irgendwo in Deutschland. Diese Kirche wiederum unterhielt ein kleines Steinhäuschen im Tessin, ein typisch Tessiner Steinhaus das wie viele tausend andere als Feriendomizil sein Dasein fristete. Näher betrachtet lag es am Lago Maggiore, noch näher...in einem kleinen Dorf im Centovalli-Tal, in einem kleine Wäldchen hoch über der Straße.
Rocki leierte seinem Pater das Anwesen irgendwie ein Wochenende lang, über Pfingsten, aus den Rippen. Und so war klar...da fahren wir hin. Keiner von uns war jemals in der Nähe des Tessins gewesen, null Ahnung wie es dort aussehen würde. Internet war noch nicht geboren. Der Gotthard-Tunnel war vor Kurzem erst eröffnet worden, davon berichteten die Nachrichten, der Rest wird sich zeigen. Was ein Navi ist.....hääää "Navi", was'n dässssss???? in dieser Zeit konnte man noch Karten lesen, und für jeden Meter den man fuhr, war die aktuellste dabei, meistens jedenfalls. So wussten wir auch dass direkt nach dem Tunnel, auf Tessiner Seite, die Autobahn endete und wir auf kleinen Straßen in engen Serpentinen, jedes noch so kleine Kaff durch eine traumhaft schöne Landschaft bis an den Lago zu fahren hatten. Wir hörten auch schon dass diese Strecke sehr "stauverdächtig" wäre, da der gesamte Autobahnverkehr komplett über diese Straße zu fahren hatte. Heute undenkbar!!! Aber ich glaub, wir hatten Glück! Dennoch dauerte die Fahrt für die letzten 50 Kilometer mindestens so lange wie die Fahrt bis dahin. Und das waren immerhin 200 Kilometer. Das Tempolimit 120 km/h galt damals schon für die gesamte Schweiz, Abweichungen davon waren höchst selten. Manche Tunnel wie der Gotthard mit Tempo 80km/h, der Selisberg 100km/h und ein paar kleinere Tunnel die ebenfalls reduziert waren. Ansonsten konnte man konstant 120km/h halten.
Heute macht man sich über solche Zustände lustig, da die Strecke chronisch überlastet ist und das Stauvergnügen auf dich lauert, um Luzern herum und dann spätestens bei der Anfahrt zu Gotthard-Tunnel hast du genügend Zeit eine Banane zu essen. Mit Trinken wäre ich vorsichtig!!! Pipi geht erst bei Gotthard Süd. Dann hast du sie irgendwann erreicht, die Einfahrt in die Röhre. 17 Kilometer misst der Schlund, wenn die Passage optimal verläuft dann darfst du ne viertel Stunde ohne Frischluft auskommen. Heute, dank Klimaanlage kein Problem, aber damals ohne Lüftung im Allgemeinen Abgasdampf, eine echte Tortur. Aber aus Gründen die sich nie erschließen, kommt es immer wieder zu Verzögerungen die sogar bist zum Stillstand heranwachsen, "Jojo- Effekt". Mensch, das kann doch nicht so schwierig sein...jeder hält sich an Tempo 80 und flutsch bist du durch!!! Soweit die Theorie. Kolonnenfahren hat wohl seine eigenen Gesetze. Das musste ich bei der Bundeswehr schmerzhaft erfahren. Wenn wir mit den Fahrzeugen auf "Gefechtsmarsch" waren, gab es einen Marschbefehl und eine Marschgeschwindigkeit die auf 20 km/h festgesetzt wurde. Jetzt kam es vor dass ich im hinteren Bereich der Kolonne meinen Platz hatte. Und du glaubst es nicht....entweder ich stand im Stau oder ich musste alles aus meiner Kiste heraus holen damit ich die Kolonne nicht verlor. Tempo 20 war nirgends einzuhalten, aber hörte sich gut und streng an....so ein Befehl, "Jawoll"!!! heißt übrigens "leck mich..."! und jeder wusste es, doch keiner konnte etwas dagegen unternehmen.
So, jetzt wieder zurück in die Vergangenheit als die Strecke noch "genügsam" war und du niemals grundlos über deinen Vordermann gelästert hast.
Und mal sehen, ob das stimmt! Der Gotthard soll ja eine "Wetterscheide" darstellen, zwischen Nord und Süd. Du fährst bei Regen oder gar mit Schneefall rein und kurz darauf tauchst du ein in die Sonne des Südens....das Tessin.
Und tatsächlich, es ist unglaublich wie schnell wir die Fensterscheiben des Fords runterkurbelten, elektrisch war noch nicht! Mit jedem Meter den wir das Tal in Richtung Lago Maggiore befuhren, öffnete sich der Himmel, die Wolken wurden weniger, bis nach kurzer Fahrt die Sonne am tiefblauen Himmel hing. Die nun langsamere Fahrt und die Sonne auf dem Schoß brachten den Kreislauf in Schwung, und schon waren die Achselhöhlen nass. Bellinzona kam näher, quatsch, wir kamen Bellinzona näher, das Rechts weg Richtung Locarno, da gerade aus die Straße auf den Monte Ceneri oder auf die Ostseite des Sees entlang gen Süden führte. Kurz vor Locarno zweigt die Straße ab vom See weg, ins Maggia-Tal, von der es später nach links in den Centovalli zu fahren war. Die Straße führte, sie führt noch immer, dem Seitenfluss Melazza entlang. Das Flussbett war beinahe trocken. Aber so gewaltig breit und tief es war...da geht bei Schneeschmelze oder Gewitter ordentlich was runter. Jetzt dümpelt das Wasser von einem kleine Stausee in den nächsten. Voller Begeisterung konnten wir den Blick kaum vom Wasser lassen, das glasklar, grün zum Baden einlud. Es lagen auch immer wieder Badegäste an den Sandstränden oder auf den viele Meter hohen, runden Felsen in der Sonne. Sonderbar, "hast du schon mal jemand im Wasser gesehen"?? Wie geht das, die Luft hat deutlich über 30°C, das schreit nach "Abkühlung"!!!
Wir erreichten unser Quartier, das traumhaft schöne Steinhäuschen, und bezogen unsere Zimmer. Es war Freitagabend, wir aßen unser Mitgebrachtes, tranken Wein und Bier. Zuvor kundschafteten wir die nähere Umgebung aus. Ein schmaler Trampelpfad führte den Berg entlang durch den Laubwald bis zu einem Bächlein, das über einen kleinen Wasserfall in ein 3-4 Meter großes Wasserbecken plätscherte. Dieses Becken war im Prinzip ein kleiner Stausee den Einheimische nutzten. Welchem Zweck der Tümpel diente wurde klar als wir ein "Badethermometer" darin entdeckten. Unser Zehenspitzen-Temperatur-Check wurde zweifelsfrei bestätigt....10°C, mehr war nicht zu erwarten da das Wasser nur ein kurzes Stückchen oberhalb aus seiner Quelle sprudelte. Ok, "Katzenwäsche" muss die drei Tage reichen!!! Ich hatte mir sowieso vorgenommen irgendwann am Samstag, in den appetitlichen Fluss zu springen.
Der Morgen danach, gemeinsames Frühstück. Die wenigen Lebensmittel die wir benötigten besorgten wir uns in einem kleinen, herzigen "Tante Emma" Dorfladen. Da wir uns noch in der Schweiz befanden, wurde in harten Alpendollars abgerechnet, und das nicht zu knapp!! Der Nördliche Teil des Lago ist in Schweizer Hand und höllisch teuer.
Als der Rest unserer Clique nach Locarno fuhr, es soll ja schön sein dort, und heiß, ließen H, E und ich uns unterwegs mit unseren Badehosen absetzen, um genüsslich zu baden. Noch immer waren keine Badenden zu sehen!!??? Das wird sich gleich ändern!!!
Wir erreichten einen schattenlosen Sandstrand wie er malerischer nicht sein könnte. Die Sonne heizte uns in Sekundenschnelle auf in Richtung Sonnenbrand...nach einer kurzen Sonnencremefase waren wir bereit in das frische Wasser einzutauchen. Nur noch die mitgebrachte, nagelneue Doppelluftmatratze aufblasen. Das Ding hatte höllisch viel Geld gekostet und schluckt unendlich viel Luft. So versprach sie mich sicher übers Wasser zu tragen. Nur kurze Zeit in der Sonne und die Matratze war gefährlich satt gefüllt. Ich trug das edle Teil ans Ufer und warf sie soweit ich nur konnte aufs Wasser hinaus. Ein kleiner Windhauch unterstützte meine Bemühung, sodass ich mich beeilen musste um den Sprung auf die Matratze noch zu schaffen. Rückwärts ging ich einige Schritte vom Ufer weg. Auf dem leicht abschüssigen Ufer sollte ich recht bald auf Absprungtempo sein. Aber nur nicht zu hastig, aufrechter Gang, immer schön mit der Ruhe, es sollte ein jeder die Chance bekommen das Spektakel mit zu erleben. So, ich stand bereit. Noch kurz tief einatmen, Brust raus, und höchste Konzentration auf einen höchst meisterlichen Hechtsprung. Über solche Nebensächlichkeiten wie "Wassertemperatur, Luftdruck in der Matratze, usw" machte ich mir keine Gedanken. Den drei Meter Flug auf die Matratze würde ich sicher schaffen, das stand außer Frage. Die Mitte muss ich treffen, sonst liefe ich Gefahr dass die Matte unter meinem Gewicht abtaucht und ich bestimmt ins unangenehm kühle Nass rutsche. Der Weg war kurz, ein kraftvoller Sprung, unterstützt von einem "Urschrei", mein Körper flog zielgenau durch die Luft. Der Aufschlag allerdings, glich dem Platzen einer Papiertüte auf die du mit der Faust schlägst. Nur war der Knall im größeren Umkreis gut zu hören, gefolgt von meiner Urschrei-Verlängerung. Die Luftmatratze, ach wie teuer, ist mit einem einzigen Schlag der Länge nach geplatzt, zeitgleich mit dem Knall war die Luft weg und ich ging gnadenlos meinem heiß ersehnten Bad entgegen, im ach wie kalten Gebirgswasser. Es dauerte wirklich nicht unnötig lange und ich hatte das trockene, heiße Flussufer erreicht. Ein kurzer Verschnaufer und ich reihte mich ein in den schallend lachenden Chor um mich herum. Der Unterhaltungswert der Show war nicht zu überhören.
Ja, was ich total unterschätzt hatte war, dass die heiße Luft in der Matratze durch das arschkalte Wasser schlagartig abgekühlt wurde und gewaltig an Volumen verlor, sodass die Matratze schlabbrig gefüllt, also beinahe luftleer war.
So kann es gehen, wenn an Stelle von Intelligenz sich "stolze Manneskraft" breit macht.
Wieder in unserem Ferienhäuschen, der kleine Stausee im Wäldchen ums Eck, erwärmte sich im Laufer der drei Tage um bestimmt vier Grad. Wir machten uns einen Sport daraus uns ein Eisbad zu genehmigen, heldenhaft wie wir waren.
Ach ja, da stand noch so ein eigenartiges Gerät in der Küche rum. Sechs- oder Achteckig, silbrig glänzend aus Aluminium gegossen. Es war uns allen ein Rätzel was man damit anfangen sollte. Einig waren wir uns, dass es sich um irgendeine Art "Kaffeemaschine" handeln musste. Ein Rätzel allerdings, wie die funktionieren sollte. Erst viele Jahre später ereilte uns die Weisheit dass man dieser Maschine einen extrem guten, traditionellen Espresso entlocken kann....gewusst wie!!!!
Mittlerweile sind wir zu so was wie "Tessin-Spezialisten" gereift, kennen den Lago Maggiore von Nord bis Süd, sind schon auf ihm und im Toce, der von Domodossola kommt und bei Verbania in den Lago mündet, gepaddelt und haben die traumhaften Täler und Berge mit dem Fahrrad befahren. Wir lieben den südlichen Flair und die mediterane Lebensweise, das italienische Essen und den fruchtigen Wein.
Schade nur, dass die Straße dahin die meiste Zeit des Jahres total überlastet ist.
....aber schön ist es im Tessin allerorts......
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